Kreislaufwirtschaft: Wie können wir uns die Natur zum Vorbild nehmen?
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26. September 2023
Im Vorfeld des Start me up Monday zum Thema Kreislaufwirtschaft (2.10.) haben wir Martina Ortbauer zum Interview gebeten.
Was nicht mehr gebraucht wird landet auf dem Müll – nach diesem Prinzip lebt die Menschheit nun bereits seit einiger Zeit. Wie könnten wir uns die Natur zum Vorbild nehmen und den Ansatz „Ursprung zu Ursprung“ wiederentdecken?
Am Montag, den 2. Oktober findet im Festsaal der FH Technikum Wien ab 17 Uhr ein Start me up Monday zum Thema „Kreislaufwirtschaft“ statt.
Bereits im Vorfeld stellten wir Martina Ortbauer (Studiengangsleiterin Master Ökotoxikologie & Umweltmanagement) einige Fragen zu dem Thema.
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Studiengangsleiterin Master Umweltmanagement & Ökotoxikologie
Was bedeutet „cradle to grave“ (von der Wiege zur Bahre)? Und wie schwierig ist es für die Menschheit, von diesem Prinzip zu „cradle to cradle“ (von der Wiege zur Wiege) überzugehen?
Martina Ortbauer: Cradle to grave ist ein linearer Ansatz, bei dem Produkte nach dem Gebrauch als Abfall auf der Deponie entsorgt oder thermisch verwertet werden. Eine Wirtschaftsweise, die dauerhaft nicht betrieben werden kann, da es zur Produktion immer neue Ressourcen und Rohstoffe braucht, die auf der Erde einfach endlich sind. Daher führt der lineare Ansatz zwangsläufig zu Einbußen der nachkommenden Generationen.
Cradle to cradle beschreibt eine Kreislaufwirtschaft, in der die Produkte im Vorhinein so gestaltet werden, dass die Materialien oder Inhaltsstoffe in den Kreislauf zurückgeführt werden können, aus dem sie einst entnommen wurden. Damit können Energie, Emissionen und auch Kosten gesenkt werden. Das Kreislaufprinzip konzentriert sich auch auf die Schließung industrieller Stoffkreisläufe.
Was gibt es davor zu beachten?
Martina Ortbauer:Grundsätzlich gilt Abfallvermeidung vor Wiederverwendung und Recycling. Und auch beim Recycling spielt die Ökobilanz für die Auswahl der geeigneten Recycling-Methode eine entscheidende Rolle. Der Vorteil beim Recyclen bestehender Produkte besteht aber darin, dass gefährliche oder bereits verbotene Substanzen wieder entfernt werden können. „Safe and Sustainable by Design“ bedeutet, dass man beim Design der Produkte mögliche Risiken für die Gesundheit und Umweltbelastungen bereits im Vorhinein bedenkt und berücksichtigt.
Dazu braucht es eine gesellschaftliche Entwicklung, eine Strategie und ein Commitment zu einer Lebensweise bzw. einer Ressourcennutzung, die die natürlichen Lebensgrundlagen nur in dem Maße beansprucht, wie diese sich regenerieren kann und eine Entkoppelung des Wirtschaftswachstums von bestimmten Materialien.
Zum zirkulären Denken als Perspektive in der chemischen Industrie wird mit Thomas Jakl, BMK „Austria’s Circular Economy Strategy”, ein Experte bei unserem Start me up Monday sprechen.
Wäre das Ziel „100 Prozent Recycling“ für Menschen irgendwann realistisch? Oder ist es gar nicht vermeidbar, dass für manche Bereiche immer neue, nicht erneuerbare Ressourcen herangezogen werden müssen?
Martina Ortbauer: Das oberste Ziel ist immer die Minimierung von Abfällen. Und dann ist das Ziel, dass Materialien ohne Qualitätsverlust wiederverwendet werden können bzw. der höchstmögliche Wert von Produkten, Materialien und Ressourcen erhalten bleibt. Oft ist das aber noch nicht der Fall – downcycling bedeutet Wiedereinsatz mit Qualitätsverlust. Dabei müssen Rohstoffe aus Produktions- und Konsumabfällen rückgewonnen werden und Wiedereinsatz finden. Dazu braucht es 1. mehr Effizienz, d.h. die Verminderung des Ressourcenaufwandes pro gefertigter Einheit und 2. Konsistenz, den Einsatz biologisch abbaubarer Stoffe und Vermeidung, Eliminierung und/oder Substitution von nichterneuerbaren Ressourcen durch regenerierbare.
Neue Technologien bringen auch neue ethische und soziale Fragen mit sich
Wirtschaft, Wissenschaft und Technik bringen neben großen Chancen auch neue Risiken (unbeabsichtigt als Nebenwirkung sozusagen). Neue Technologien bringen auch neue ethische und soziale Fragen mit sich, Risiken zeigen sich oft erst bei der Anwendung oder Weiterentwicklung. Es gibt nicht immer eine 100% Lösung, sondern ein sorgfältiges Abwägen, „das ist besser als das“.
Welche technischen Innovationen könnten im Bereich Recycling in absehbarer Zeit Verbesserungen bringen?
Martina Ortbauer: Dazu gibt es zwei Möglichkeiten: Neues Design & neue Recyclingmethoden. Zum Beispiel in der Zellstoff- bzw. Papierindustrie und auch in weiten Bereichen der Textilindustrie kommen Materialien auf Basis von Cellulose zum Einsatz, was eine nachhaltige Herstellung und Wieder-Verarbeitung von Materialien auf Basis von Biomolekülen (Biomasse) ermöglicht.
Beim Start me up Monday werden wir dazu einen Vortrag zu “Grüne Chemie”, Cellulose Chemistry – von Christian Schimper (Managing Director – Acticell GmbH) hören.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Kunststoffrecycling: Die Rate für das Recyclen von Kunststoffverpackungsabfällen ist in Österreich zurzeit bei 25 % – laut EU-Vorgaben muss bis 2030 eine Recyclingrate von 55 % erreicht werden. Technische Schwierigkeiten beim Kunststoffrecycling entstehen durch die große Materialvielfalt, Qualitätsverluste beim Recyclen und dass das Recyclen bei hohem Ölpreis lukrativer ist als bei niedrigem. Dabei entstehendes Mikroplastik ist eine zusätzliche Umweltgefahr.
Beim werkstofflichen Recycling von Kunststoffabfällen werden diese zerkleinert, das Granulat eingeschmolzen und neu verarbeitet´. Die Zusammensetzung der Makromoleküle des alten Kunststoffs bleibt dadurch bestehen. Chemisches Recycling bedeutet die Umwandlung der Kunststoffpolymere in ihre Monomere bzw. in die chemischen Grundbausteine oder Basischemikalien. Das galt lange als unwirtschaftlich, wird aber z.B. von BASF neu überdacht.
In der EU-Chemie-Politik spielt die Chemie eine große Rolle in der Transition vor allem in der Energiewende. Nicht nur Technik, sondern auch bessere Logistik, neue Business Modelle und weniger „Toxisches Lobbying der großen Firmen in Brüssel“ wären wichtig.
Mehr dazu beim Event am 2. Oktober 2023 an der FH Technikum, wo neben Martina Ortbauer unter anderem Expert*innen von GreenTec Campus Korneuburg und Blue Planet Ecosystems vertreten sein werden: