Eine Frage der Verantwortung: Virtueller Talk rund ums Thema Nachhaltigkeit

08. Juni 2021

In der vierten Ausgabe der Online-Gesprächsreihe des International Office diskutierten FHTW-Expertin Susanne Schidler und Hervé Boileau, Professor für Verfahrenstechnik von der Université Savoie Mont Blanc über Verantwortung und Aufgaben von Hochschulen in Sachen Nachhaltigkeit.

Die EU Green Week bildete den Anlass, um beim vierten Online-Webinar des International Office der FH Technikum Wien über das große Thema Nachhaltigkeit und die zentrale Rolle des Hochschulwesens für eine nachhaltige Entwicklung zu diskutieren. Als Gesprächspartner waren für die Online-Talkrunde diesmal Susanne Schidler vom FHTW-Kompetenzfeld für Erneuerbare Energiesysteme und Hervé Boileau, Professor für Verfahrenstechnik von der Université Savoie Mont Blanc (F) eingeladen.
Für die Eingangsstatements wurden die beiden Fachleute nach ihrem beruflichen und privaten Zugang zur Thematik befragt. Susanne Schidlers Antwort: Sie habe in beiden Bereichen dieselbe Sichtweise. Ihr gehe es um eine umfassende Betrachtung der Nutzung von Technologien. Wichtig sei, die Technik so einzubinden, dass sie den Menschen helfe, dabei aber auch gut für die Umwelt sei. Man dürfe bei seinen Entscheidungen jedoch nie auf die gesellschaftlichen Aspekte vergessen.
Er beschäftige sich seit 25 Jahren beruflich mit dem Thema, berichtet wiederum Hervé Boileau. Damals habe jedoch noch niemand von „nachhaltiger Entwicklung“ gesprochen. Ihm sei es gerade als im Ingenieurwesen tätiger Forscher und Lektor heute wichtig, mit seinen Studierenden auch über gesellschaftliche Aspekte, Politik und Entscheidungsfindungsprozesse zu diskutieren. „Ich sage den Studierenden oft: Ein technisches Thema wie Hitzetransfer wird nie Thema für eine politische Diskussion sein – Abfallwirtschaft hingegen sehr wohl.“ Persönlich sei ihm dabei wichtig, das Beste zu geben und zu versuchen, das eigene Verhalten zu verbessern.

Die Verantwortung der Hochschulen
Die Hochschulen hätten jedenfalls eine wichtige Funktion als „Role Models“ in Sachen Nachhaltigkeit, betont Susanne Schidler. Es brauche jedoch Strategien in den Institutionen, um aufzuzeigen, dass man die gesetzten Ziele auch erreichen könne, wenn man sich an bestimmte Maßnahmen halte. „Es reicht nicht, das nur zu lehren. Man muss es auch leben und zeigen, dass es möglich ist, die Ziele zu erreichen.“

Die Verantwortung der Hochschulen sei schon immer gewesen, der Gesellschaft Informationen, Werkzeuge und Antworten aus wissenschaftlicher Perspektive zu geben, ergänzt Hervé Boileau. Damit liefere man auch Entscheidungshilfen für die Politik. Dies sei gerade bei Fragen zur nachhaltigen Entwicklung bedeutsam, aber nicht immer einfach. „Die Bevölkerung will heute wissen, was 2030, 2050 oder in hundert Jahren sein wird. Die Menschen erwarten sich hier aber Antworten, die wir noch nicht geben können. Wir haben oft erst Ideen und noch keine fertigen Lösungen parat“, so der Experte.

„Man muss aber auch die richtigen Fragen stellen – und den Studierenden zeigen, dass dies auch in ihrer Verantwortung liegt. Und dass es eben nicht immer klare Antworten gibt“, ergänzt Susanne Schidler. „Schließlich ergibt gerade bei der Nachhaltigkeit oft eine Antwort wieder die nächste Frage.“

Kooperation statt Wettbewerb der Hochschulen
Die Hochschulen weltweit hätten ein Jahrzehnt lang, von 2005 bis 2014, im Rahmen der UN- Dekade zur „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ die Möglichkeit gehabt, um gemeinsame Standards in Sachen Nachhaltigkeit zu entwickeln, so die FHTW-Expertin weiter. Dieser Zeitraum sei aber nicht gut genug genutzt worden. Die US-Universitäten hingegen hätten damals gemeinsame Strategien entwickelt. Dies zeige, wie wichtig in dem Bereich Kooperationen seien. Jede Hochschule könne dabei ihre jeweiligen Schwerpunkte und Stärken einbringen. „Es geht hier um notwendige Zusammenarbeit, nicht um Wettbewerb“, so Schidler.

Ihr Kollege Boileau weist jedoch auf ein damit zusammenhängendes Dilemma hin: „Um gut zusammenarbeiten zu können, muss man Leute auch direkt treffen – nicht alles funktioniert nur über Zoom.“ Dazu müsse man jedoch auch reisen, was wiederum nicht gut für den ökologischen Fußabdruck sei. Seine Studierenden vertreten in Diskussionen zu dem Thema oft die Meinung, dass man Flüge, die über eine gewisse Distanz hinausgehen, verbieten soll, erzählt der Forscher. In Österreich laufe diese Debatte hingegen genau andersherum, sagt Schidler: Hierzulande werde aktuell diskutiert, ob man nicht besonders kurze Flüge verbieten sollte.

Politische Lösungen gefragt
Auf die Frage, wie man das Thema Nachhaltigkeit an die Studierenden heranbringen könne, haben beide Fachleute unterschiedliche Antworten parat. „Ich sage meinen Studierenden, dass sie ihr Verhalten reflektieren sollen. Es geht dabei aber nicht darum, alles gleichzeitig zu ändern, sondern nur Schritt für Schritt. Nur so wird man letztendlich effektiv etwas bewirken“, sagt Boileau. Schidler hingegen ist überzeugt, dass man den Studierenden zeigen müsse, dass kleine Schritte im Privaten auf absehbare Zeit keine sichtbaren Effekte bringen. „Die großen Fragen brauchen politische Lösungen.“ Dies sei ein schwieriges Dilemma, ist sich die Expertin bewusst, denn gleichzeitig gehe es im Kern immer um Fragen der Verantwortung und der Ethik. Wichtig sei, den Studierenden im Rahmen von Forschungsprojekten die Bandbreite und Vielfalt aufzuzeigen, was Nachhaltigkeit alles bedeuten könne. „Wir müssen hier auch zeigen: Es gibt hier keinen bestimmten Punkt, den man erreichen kann, sondern nur eine Richtung, in die man gehen muss.“

Lernen von der Jugend
Aber können die Hochschulen in Zeiten von „Fridays for Future“ auch etwas von der jungen Generation lernen? Und gibt es aus dieser weltweiten Klima-Bewegung in den vergangenen Jahren Auswirkungen auf die Lehre? Die beiden Fachleute geben auf diese Fragen differenzierte Antworten: Für sie habe sich in der Lehre wenig geändert, berichtet Schidler. Ihr sei aber wichtig, zuzuhören und mit den Studierenden das Gespräch zu suchen. „Ich versuche auch zu vermitteln, dass es wichtig ist, die Dinge nicht als gegeben hinzunehmen – und dass es erlaubt ist, eine andere Meinung zu haben als die Person, die gerade vorne steht.“ Grundsätzlich seien die Studierenden im Bereich Erneuerbare Energien aber ohnehin stark am Thema Nachhaltigkeit interessiert.

„Immerhin muss man jetzt nicht mehr über den Klimawandel diskutieren. Man kann dafür über das Verhalten und Veränderung sprechen“, ergänzt Hervé Boileau abschließend. Dabei sei es wichtig, auch das Positive zu betonen: „Statt zu sagen: ich muss Bus fahren, weil das Auto so teuer ist, sollte man lieber sagen: Das ist mein Beitrag!“